Über Clairière (Lichtung) für Orchester (2021)
„Clairière" (von lat. clarus: „Handlung des Lichtens, des Auflockerns, des Erhellens)
Lichtung heißt in der gewöhnlichen Sprache so etwas wie „Waldblöße“ … ein Holz lichten heißt einige Bäume im Wald fällen, wobei man eine Lichtung öffnet.
Diese Herzmitte ist wohl die Lichtung selbst; sie ist aber nicht ein äußeres Ziel, etwa ein ferner Ort, den man erreicht, nachdem man den eigenen Wohnort verlassen hat, sondern ein schon immer naher Ort, den man doch nur selten und plötzlich erblickt, indem man in die Tiefe des Waldes eindringt.
„Die Wege werden gegeben, indem der Wald gelichtet wird; das Ergeben und Freigeben ist ein weiteres Bild für die Lichtung selbst in ihren mehrfachen Aspekten: als Lichten, als Freimachen, als Erhellen, als Zusammengehören von Licht und Dunkel, von Entbergung und Verborgenheit.
Ich habe die Arbeit an dem Orchesterwerk Lichtung im April 2021 begonnen und die Skizze im August 2021 vollendet.
Das Werk reflektiert die subtilen Farb- und Stimmungswechsel einer Lichtung im Sommer.
Neben einem großen Orchester (mit einem ausgeweiteten Schlagzeugapparat) werden außerdem noch Instrumente wie Altblockflöte, Konzertgitarre, Mundharmonika und ein Windspiel verwendet.
Einleitung: Ausgehend von den Basstönen Gis (As) und D entfalten sich feinste Resonanzklänge in den verschiedenartigsten Schattierungen und Verzweigungen. Nach einem verhaltenen Beginn mit spärlichen Klängen von Holzbläsern und hohen Streichern entwickelt sich mit dem Einsatz des Klaviers eine Verdichtung des harmonischen Spektrums. Über dem Tremolo der vierzehnfach geteilten Streicher entflechten sich zarte Lufttöne der Flöten.
Zeit und Klang verweilen in der Schwebe. Die Klänge lösen sich auf, bis nur noch eine Mundharmonika übrig bleibt und auf einer langen Fermate haucht. Nach und nach wird das Tempo wieder aufgenommen und steigert sich hin zum Agitato molto.
In stürmischem Tempo drängen sich permanent vergrößernde Gruppen von Sechzehntelnoten (ausgehend von einer aufsteigenden Fibonaccireihe), die von der permanenten Motorik eines großen Schlagzeugapparats angetrieben werden. Kieselsteine und diverse Schlaghölzer als „Instrumente des Waldes“ spielen hierbei eine tragende Rolle. Trillerketten der verschiedenen Instrumentengruppen und komplexe Glissandofiguren intensivieren den Verlauf. Eine Kaskade aus Klappengeräuschen der Bläser und „col legno“-Figuren (mit dem Bogenholz) der geteilten Streicher führen zum Höhepunkt mit einem Tutticluster in vierfachen Fortissimo und dem Einsatz von verschiedenen Metallplatten. Im Verlauf des sehr langen Nachhalls beginnt der Epilog. Echoklänge der gedämpften Blechbläsergruppen wechseln sich ab mit einem Quartett aus vier solistischen Kontrabässen. Über den liegenden Streicherfiguren verzweigen sich aleatorische Bläserfiguren in den unterschiedlichsten Tempi und erinnern „aus der Ferne" an den bewegten Mittelteil. Der Schluss ist geprägt von verschiedenen Windspielen aus Bambusklanghölzern, die mit den Pizzicato-Klängen der Streicher langsam verebben. Die Komposition ist meinem Freund, dem Förster Dieter, gewidmet.
Heideblick, August 2021
Auf diese Weise „ist die Lichtung, das Offene, nicht nur frei für Helle und Dunkel, sondern auch für den Hall und das Verhallen, für das Tönen und das Verklingen“ … Auch die Benennung der Lichtung als „Ort der Stille“ verweist ja auf das „Geläut der Stille“.
(alle Zitate aus: Martin Heidegger, Sein und Zeit (1927) sowie Amoroso: „Heidegger Lichtung“)
Projekt gefördert durch ein Stipendium der Gema 2021 - 2022
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